Hier ein paar Auszüge aus dem sehr lesenswerten Artikel.
"Viele kleine Dinge - alle zusammen: ein großes Problem", sagt Perzyna. Es gibt auch noch einen Wasserschaden an der Küchendecke, eine nicht funktionierende Gegensprechanlage und diverse andere Probleme, um die sich die Hausverwaltung einfach nicht kümmere, erzählen die beiden. Und duschen könnten sie bis heute nicht, wenn sie sich nicht selbst geholfen hätten.
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Einen Kredit zu erhalten, sei kein Problem - zumindest in Polen. Gierko erzählt, in Deutschland habe sie noch nicht mal einen Leasingvertrag für ein Auto bekommen. Sie sei selbständig, wirtschaftlich erfolgreich, zahle hohe Steuern und Fixkosten, etwa an die Krankenkasse - "und trotzdem habe ich als Antwort bekommen, ich sei nicht kreditwürdig".
Leicht ironisch fügt sie hinzu: "Obwohl die Verdienste anscheinend gar nicht so schlecht sind, wenn die Steuern doch relativ ins Eingemachte gehen." Einen Leasingvertrag hat sie dann doch noch bekommen - allerdings nur in Polen. "Telefonisch, nach sieben, acht Minuten maximal", erklärt ihr Ehemann.
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Schon wieder zurück in Warschau ist Jacek Dehnel. Nicht einmal fünf Jahre hat er es in Berlin ausgehalten. 2020 hatte er Polen verlassen. Wegen der Homophobie in Teilen der Gesellschaft und weil der Kandidat der rechten PiS-Partei die Präsidentenwahl gewonnen hatte
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"Ich habe den Eindruck, dass Deutschland in Bezug auf die alltägliche Lebensqualität ein 'Failed State' ist", sagt er. Ein "gescheitertes Land" also. Ein Begriff, der in Medien üblicherweise eher für Staaten wie Somalia, den Jemen oder die Demokratische Republik Kongo benutzt wird. Orte, in denen der Staat die Kontrolle über sein Hoheitsgebiet verloren hat also.
Den Begriff "Failed State" will er leicht ironisch verstanden wissen - denn in Deutschland habe der Staat im Gegensatz zu den genannten Ländern eher zuviel Kontrolle als zu wenig. Für alles müsse man einen Antrag stellen, die Ämter seien unkooperativ, bürokratisch - und in der Regel nicht digital zugänglich.
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Sein Eindruck sei, "dass die deutsche Gesellschaft daran gewöhnt ist, dass der Staat sie auf diese Weise drangsaliert - und das als normal ansieht." Ärger mit irgendwelchen Ämtern sei die Regel, das Steuersystem sei kompliziert. Er konstatiert: "Und alle nehmen das als selbstverständlichen Teil des Lebens hin."
Ja sehe ich. Die deutsche Zivilgesellschaft hat aktuell leider die Tendenz Verantwortung blind nach oben abzuschieben und dann unzufrieden zu sein egal was passiert, ohne eine klare Vision für die eigene Zukunft und ohne Erwartungen an die eigenen Politiker.
Die Politik kann es daher weder richtig noch falsch machen; große Probleme anzugehen wird nicht honoriert, Bullshit zu verzapfen nicht bestraft.
Am liebsten hätten alle ein fiktives Deutschland zurück das nie existiert hat, in dem man in seiner prüden bürgerlichen Existenz nicht mit Problemen und Veränderungen behelligt wird, die von einem verlangen sich zu politisieren.
Wenn alle das wollen würden, wäre die Umsetzung gar nicht so schwer.