Der Kriminologe Dirk Baier hat mit drastischen Worten vor einer Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gewarnt. Deutschland sei auf dem Weg in einen "Überwachungsstaat" wie in China, sagte der Professor und Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Hochschule in Zürich im SWR-Videopodcast "Zur Sache! intensiv".
Für ihn sei das ein "Schreckensszenario. Dass wir auf Schritt und Tritt, bei allem, was wir tun, beobachtet werden, Kameras überall." Irgendwann gebe es auch hier ein Punktesystem, bei dem Menschen Punkte abgezogen werden, "wenn man bei Rot über die Straße geht". Im Glauben, absolute Sicherheit schaffen zu wollen, gehe man Richtung "totaler Kontrolle". Der in Sachsen geborene Baier ist einer der führenden Jugendgewalt- und Extremismusforscher im deutschsprachigen Raum. Baier mahnte, auch in Baden-Württemberg müsse man die Bedenken der Datenschützer ernst nehmen.
Auch die grün-schwarze Landesregierung will den Kommunen mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum erlauben. Videokameras sollen nicht mehr nur für bestimmte Objekte, sondern generell zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder in Ausübung des Hausrechts zugelassen werden.
Auch der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) soll in bestimmtem Rahmen erlaubt werden. Der Landesdatenschutzbeauftragte Tobias Keber hat "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken", weil eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall nicht vorgesehen sei. Der Landtag will den Gesetzentwurf an diesem Donnerstagabend erstmals debattieren.
Der Kriminologe Baier erläuterte im SWR, die Politik begründe die Ausweitung der Überwachung damit, dass es mehr Sicherheit schaffe. "Das Perfide an der ganzen Sache: Man kann ja nicht wirklich dagegen sein gegen Maßnahmen, die Sicherheit versprechen." Studien zeigten aber, dass Videoüberwachung oder auch Messerverbotszonen, in denen man grundlos durchsucht werde, nicht zu weniger Kriminalität führten.
Baier argumentierte, es gebe "Rückgänge in der Kriminalität" im Vergleich zum Anfang des Jahrtausends. Er rate der Politik deshalb, bei Eingriffen in Freiheitsrechte vorsichtig zu sein. "Denkt bitte zwei-, dreimal drüber nach." Und: "Versprecht bitte der Bevölkerung nicht, dass so etwas wie absolute Sicherheit möglich ist."
Baier argumentierte, bei der Gewaltkriminalität sei das Niveau niedriger als vor 30 Jahren. Aber: Die Berichterstattung über besonders brutale Fälle habe deutlich zugenommen. So habe zuletzt eine Studie ergeben, dass die Messerkriminalität zuletzt um 10 bis 15 Prozent gestiegen sei, die Berichte sich aber verzehnfacht hätten.
"Gefühle kann man jemandem nicht ausreden. Ich tue, was ich kann, um zu sagen, dass die Welt viel, viel sicherer geworden ist als noch vor 30 Jahren. Das Risiko, getötet zu werden, das hat sich um etwa Zwei Drittel reduziert in den letzten 30 Jahren in Deutschland."