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submitted 4 months ago* (last edited 4 months ago) by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Heute eine dystopische Science-Fiction-Kurzgeschichte. In gedruckter Form auch erschienen in der Anthologie 'Mensch, Verwandler' im Radiator Verlag. Schönes Wochenende!

Milch

Sascha van der Meer war fünfundzwanzig Jahre alt, als ich ihn in die Welt setzte. Er starb wenige Minuten später. Sascha van der Meer hatte lange Haare, Ohrlöcher, an denen bunte Büroklammern hingen, und einen niedrigen Kalziumspiegel. Kalzium war ein Mineralstoff, den Menschen benötigten, um Knochen aufzubauen. Eine hervorragende Kalziumquelle war Kuhmilch, deshalb habe ich Sascha zu Beginn seines Lebens in einen Supermarkt geschickt. Der an Kalziummangel leidende Sascha sprach nicht viel und war froh, wenn er nicht angesprochen wurde, obwohl er so attraktiv war, dass man meinen könnte, ihm würde so etwas öfter passieren. Sascha wurde für den Rest seines Lebens nicht mehr angesprochen.

Das Licht des Supermarktes war genau so unecht wie die Milch, die Sascha dort kaufen wollte. Die Milch im Supermarkt war synthetisch. Sie bestand aus Wasser und Farbe und Mineralstoffen, die Menschen in großen Chemielaboren hergestellt hatten. Bevor der Supermarkt gebaut wurde, standen dort echte Kühe. Dann starben alle Kühe. Dann viele Menschen. Dann starb Anton van der Meer – Saschas Vater. Sascha starb im Supermarkt, als er Milch kaufen wollte.

Der Supermarkt wurde im Jahr 2057 gebaut, als der dritte Weltkrieg bereits begonnen hatte. Sieben Jahre zuvor wurde er ausgelöst.

Der Auslöser des dritten Weltkriegs war fünfzehn Jahre alt und hieß Batbayar Ganbaatar. Batbayar Ganbaatar wusste nicht, dass er indirekt die Schuld am dritten Weltkrieg trug, und würde es auch nie erfahren. Ganbaatar saß am Fuße des Sutai Uul. Der Sutai Uul war einer der größten Berge in einem Land, das damals Mongolei hieß. Von einem Gletscher weit oben auf dem Sutai Uul rann geschmolzenes Wasser, vorbei an Ganbaatar, hin in den Tonkhil-See. Ein Gletscher war eine dicke Eismasse, die sich langsam bewegte.

Heute gibt es keine Gletscher mehr. Ganbaatar war Nomade und Kuhhirte. Vor allem aber war er mitten in der Pubertät und hätte lieber masturbiert, statt auf seine Kühe aufzupassen. Wenn Ganbaatar masturbierte, dann dachte er am liebsten an Arielle McConnor, die damals mit ihren großen brauen Augen und ihrem Gesang die Welt verzauberte. Arielle McConnor stammte aus den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der großen Freiheit, und sang auf Englisch. Ganbaatar verstand kein Englisch, aber er mochte ihre Stimme und ihre Augen und das, was sie mit ihm machte, wenn er seine Augen schloss und sich konzentrierte. Während Ganbaatar seine Augen geschlossen hatte und sich konzentrierte, tranken seine Kühe das Wasser des Sutai-Uul-Gletschers, das an ihnen vorbeifloss, immer weiter in den Tonkhil-See. Hätte Ganbaatar genau hingeschaut, dann hätte er trotzdem nicht gesehen, dass seine Kuh Arielle den Grundstein für den dritten Weltkrieg legte.

Dies ist, wofür Eis auf der Erde gut war: Menschen lagerten Nahrung in Eis, um sie länger haltbar zu machen. Die Natur lagerte Bakterien im Eis, um sie länger haltbar zu machen. Bakterien waren kleine Lebewesen, die Menschen nicht ohne Hilfsmittel sehen konnten. Einige dieser Bakterien hatte die Natur im Gletscher des Sutai Uul gelagert. Jetzt trieben diese Bakterien hinab, vorbei an Ganbaatar und seinen Kühen, bis hin in den Tonkhil-See. Einige dieser Bakterien trieben in die Kuh Arielle. Das Bakterium nannten kluge Menschen später Mycobakterium bovis subsp. mongoliense. Die Krankheit, die das Bakterium auslöste, nannten sie Cattle Tuberculosis, oder kurz CAT. Katzen konnten sich nicht damit anstecken.

Wenn eines der Bakterien in eine Kuh eindrang, dann vermehrte es sich. Wenn eine Kuh das Bakterium in sich hatte und eine andere Kuh traf, dann drang das Bakterium auch in diese Kuh ein. Ganbaatars Kühe trafen viele andere Kühe. Wenn sich das Bakterium in einer Kuh ausreichend vermehrt hatte, passierte folgendes: Die Kuh wurde müde und hatte keinen Hunger mehr. In der Lunge der Kuh bildeten sich kleine Knötchen in den Blutgefäßen, die nach einiger Zeit zerplatzten. Dann hustete die Kuh Blut aus ihrer Lunge und starb. Ganbaatars Kuh Arielle starb nach dreiundzwanzig Tagen. Hätte sie sprechen können, hätte sie sich einen früheren Tod gewünscht.

Dank Ganbaatars Kühen, die er weiter Richtung Süden trieb, konnte sich CAT vermehren und kam von dort nach China, Kasachstan und Indien. Indien war ein Land, in dem Kühe für viele Menschen heilig waren. Warum auch nicht? Eine Krankheit, die Kühe tötet, ist nicht gut für ein Land in dem Kühe heilig sind. CAT war zwar nicht gefährlich für den Menschen, aber viele kluge Menschen hielten es für möglich, dass das Bakterium irgendwann mutieren und sich an sie anpassen konnte. Manche dieser klugen Menschen sagten, dass es am besten sei, wenn man alle Kühe töten würde. In Indien tötete niemand Kühe, weil Kühe heilig waren.

In den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der großen Freiheit, tötete man gerne, weil Waffen heilig waren. Und so begannen die Menschen dort, alle Kühe zu erschießen. Dann sagten die klugen Menschen zu Menschen in anderen Ländern, dass sie das doch bitte auch machen sollten. In Europa folgten die Menschen den Worten der Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der großen Freiheit. In Indien und in China verweigerten die Menschen den Wunsch. Zwei Jahre nachdem Batbayar Ganbaatar am Fluss des Sutai Uul saß, seine Augen geschlossen hatte und sich konzentrierte, starb die letzte Kuh auf dem amerikanischen Kontinent.

Zur selben Zeit, wieder oben auf dem Sutai Uul, schmolz der Gletscher weiter und offenbarte folgendes im Eis: ein kleines Raumschiff.

Das Raumschiff gehörte Dulrax Zondobar. Dulrax Zondobar selbst gehörte zu den Pirasakut, die etwa achtzehn Lichtjahre von der Erde entfernt auf dem Planeten Ylon-B lebten.

Hier ist der Grund, warum das Raumschiff im Gletscher gefangen war: Dulrax Zondobar, seines Zeichens Professor für Anthropologie an der Ylon-B-Universität, musste während einer Forschungsreise notlanden. Die Notlandung fand während der letzten großen Eiszeit statt, in welcher sich der Gletscher auf dem Sutai Uul formte. Dulrax Zondobar wurde dreißigtausend Jahre im Eis konserviert. So wie die Natur das Mycobakterium bovis subsp. mongoliense, den Auslöser der CAT, im Eis konservierte.

Als Dulrax Zondobar im Gletscher landete, gab es dort noch kein Mycobakterium bovis subsp. mongoliense. Was es aber gab, war das Mycobakterium bovis, das der Auslöser einer harmloseren Variante der Rindertuberkulose war. Und es gab ein Loch im Treibstofftank von Dulrax Zondobars Raumschiff.

Die Pirasakut nutzten einen biologischen Treibstoff, der auf ihrem Planeten Ylon-B harmlos war, aber auf der Erde gravierende Mutationen in Lebewesen auslösen konnte. Mycobakterium bovis mutierte dank des Treibstoffes zum viel gefährlicheren Mycobakterium bovis subsp. mongoliense. Als Dulrax Zondobar aus dem Eis erwachte, hatte er ein Problem: kein Treibstoff. Deshalb sendete er eine Nachricht zu anderen Pirasakut. Die Pirasakut kommunizierten so: mit den Fingern. Bevor die Menschen begannen, mit den Lippen und der Zunge zu kommunizieren, nutzten sie auch die Hände. Dann verwendeten sie die Hände, um Werkzeug zu entwickeln und andere Menschen totzuschlagen.

Jetzt kommunizieren sie nicht mehr. Auch wenn die Pirasakut einen ähnlichen Körperbau hatten wie die Menschen, gab es einen Unterschied. Wo Menschen einen Kopf hatten, hatten die Pirasakut einen dritten Arm mit einer dritten Hand. Mit der dritten Hand empfingen sie die Nachrichten, die mit den anderen Händen gesendet wurden. Um eine Nachricht weit hinaus ins Weltall zu schicken, musste Dulrax Zondobar seine Sendeleistung verstärken. Dies tat er, indem er die größten Hände nutzte, die es auf der Erde gab. Auf der Erde gab es immer Menschen, die wichtiger waren, als andere Menschen. Um diesen wichtigen Menschen zu zeigen, wie wichtig sie waren, hat man sie nachgebaut, aus Stein oder aus Metall und hat diese nachgebauten, wichtigen Menschen auf große Plätze gestellt. Die Menschen nannten diese nachgebauten Menschen Statuen. Dulrax Zondobar nutzte die Hände der Statuen, um eine Nachricht an die anderen Pirasakut zu schicken. Mit Hilfe eines Gerätes in seinem Raumschiff konnte er die Finger der Statuen in die richtige Position bringen. Das Gerät nannten die Pirasakut Telespektor. Die Nachricht bestand aus zweihundertachtzigtausend verschiedenen Fingerzeichen. Folgendes hat Dulrax Zondobar an die Pirasakut auf Ylon-B gesendet:

HILFE! LG DULRAX ZONDOBAR

Während Dulrax Zondobar auf Hilfe wartete, drohten die Vereinigten Staaten von Amerika, das Land der großen Freiheit, alle Kühe in Indien und dem Rest Asiens mithilfe nuklearer Waffen auszulöschen. Indien weigerte sich noch immer. Kühe waren dort noch immer heilig.

Dulrax Zondobars Nachricht war indessen auf seinem Planeten Ylon-B angekommen und die Pirasakut schickten eine Flotte, um den gestrandeten Professor zu bergen. Die Raumschiffe der Pirasakut waren gelb. Beim Abflug sagten sie: »Zip-Wop«. Sie wurden von mongolischen Behörden entdeckt. Die Mongolei stand auf der Seite Indiens, wenn es um die Kuhfrage ging und meldete feindliche Flugzeuge an Indien. Indien hielt die Raumschiffe der Pirasakut für Flugzeuge der Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der großen Freiheit. Aus Angst vor einer Invasion schickte Indien eine Atombombe in Richtung des amerikanischen Kontinents, die auf dem Weg abgefangen wurde. Die Vereinigten Staaten von Amerika schossen zurück.

Der dritte Weltkrieg kam jetzt nach Indien und mit ihm Amerikaner und Europäer, die alle Kühe und viele Menschen töteten. Zu dieser Zeit gab es schon keine Milch mehr in den Supermärkten und die Pirasakut waren auf dem Weg zurück nach Ylon-B.

Sascha van der Meer war nicht nur äußerst gutaussehend, ich habe ihm auch ein höfliches Wesen gegeben. Niemals hätte er ein böses Wort zu der alten Dame gesagt, die neben ihm am Milchregal des Supermarktes stand.

Vielleicht wäre er in der Lage gewesen, wenn er gewusst hätte, wer die Dame war. Aber diese Information habe ich ihm nie gegeben. Die Dame war einundsiebzig Jahre alt und hieß Anna Baumann. Ihr Mann hieß Julius Baumann. Julius Baumann war tot. Und er war schuld, dass Anton van der Meer – Saschas Vater – auch tot war.

Julius Baumann arbeitete zu Beginn des großen Kuhsterbens in der Tepco Ltd. Die Tepco Ltd. war der weltweit größte Impfmittelhersteller und Julius Baumann versuchte, ein Impfmittel gegen CAT zu entwickeln. Obwohl Julius Baumann zu den klugen Menschen gehörte, die über Mutationen des Mycobakterium bovis subsp. mongoliense besorgt waren, gelang es ihm nicht. Eines der Impfmittel hieß CI-6. CI-6 war Julius Baumanns größte Hoffnung. Es konnte verhindern, dass CAT einen Großteil der Testkühe tötete. Leider war es nicht ohne Nebenwirkungen.

Kühe, die mit CI-6 geimpft wurden, entwickelten Giftstoffe in ihrer Milch. Wenn Kälber davon tranken, verfielen sie in eine Raserei und starben nach kurzer Zeit an Herzstillstand.

Als Julius Baumann eines morgens ins Labor der Tepco Ltd. kam, fand er nicht nur einen Haufen toter Kühe, sondern auch einen Haufen toter Mitarbeiter. Für viele Menschen war die Zeit des Kuhsterbens zu viel und sie beschlossen, sich selbst zu töten. Dies hatte auch einer von Julius Baumanns Kollegen beschlossen. So wollte er sterben: er trank die Milch der Kühe, die mit CI-6 geimpft wurden. Seiner Meinung nach müsste etwas, das bei Kühen Herzstillstand auslöste, dasselbe beim Menschen erst recht tun. Das stimmte nicht. Was jedoch passierte, war, dass Julius Baumanns Kollege in eine Raserei versetzt wurde, alle Kollegen im Labor tötete und anschließend von Sicherheitsleuten der Tepco Ltd. erschossen wurde. Wenigstens hatte er sein Ziel erreicht.

Julius Baumann forschte weiter an der Milch und fand heraus, dass sie Menschen hemmungslos und aggressiv machte. Genau das richtige Mittel für einen Krieg. Und da Julius Baumann nicht nur Intelligenz besaß, sondern auch eine Frau, die Geld sehr gern hatte, verkaufte er seine Erkenntnisse und die Milch an das Militär. Dieses war darüber sehr erfreut und glücklich, weil ihre Soldaten von nun an viel effizienter und ohne schlechtes Gewissen töten konnten. Die Milch nannten sie Kriegsmilch. Kriegsmilch machte selbst die gutherzigsten Menschen zu erbarmungslosen Tötungsmaschinen. Einer der gutherzigsten Menschen hieß Jesus Christus. Jesus Christus wurde etwa zweitausendfünfundsechzig Jahre vor dem dritten Weltkrieg geboren und viele Menschen schenkten sich zweitausend Jahre später an seinem Geburtstag Socken. Anscheinend war er der Sohn Gottes.

In dieser Geschichte bin ich der einzige Gott und mein Sohn hieß Sascha. Alle Soldaten, die in Indien stationiert waren, bekamen Kriegsmilch. Anton van der Meer – Saschas Vater – war in Indien stationiert, einundzwanzig Jahre bevor Sascha den Supermarkt betrat.

Bevor der dritte Weltkrieg begann, gab es auf der Erde zu viele Menschen, weil Menschen gerne Zeit damit verbrachten Teile ihres Körpers zu verbinden und nicht so viel Zeit, um sich um Gletscher zu kümmern. Das ist einer der Gründe, warum es heute keine Gletscher mehr gibt.

Neun Monate vor Saschas Besuch im Supermarkt hatte eine Inderin knapp sieben Minuten damit verbracht, Teile ihres Körpers mit denen eines Mannes zu verbinden. Als Ausgleich für das neue Leben und um eine erneute Überbevölkerung zu verhindern beschloss ich, Sascha zu töten.

In Jaipur, im Norden Indiens, lag Manisha Bhandari in den Wehen. Manisha Bhandaris Vater, Himal Bhandari, gehörte zu den Menschen, die Kühe für heilig hielten. Manisha Bhandari war arm. Als sie klein war, spielte sie mit Kuhknochen. Die Knochen ihres Vaters hatte sie nie gefunden.

Bevor Himal Bhandari, ihr Vater, starb, war er müde und hatte keinen Hunger mehr. Als er erschossen wurde, hustete er Blut aus seiner Lunge. Hätte er noch sprechen können, hätte er sich einen früheren Tod gewünscht. Manisha Bhandaris Wehen wurden stärker und somit näherte sich auch Saschas Tod mit immer größeren Schritten.

Sascha stand mittlerweile noch immer vor dem Regal mit der künstlichen Milch. Folgendes waren die letzten Worte seines Vaters an ihn: »Trink immer genug Milch.« Dann erschoss er sich.

Saschas Mutter entfernte die Blutreste ihres Mannes mit Scheuermilch von den Fliesen. Scheuermilch war keine echte Milch, sondern eine weiße Flüssigkeit, die Menschen verwendeten, um Flecken zu entfernen. Wenn Menschen Scheuermilch tranken, dann starben sie.

Saschas Mutter trank Scheuermilch.

Anton van der Meer, Saschas Vater, trank keine Scheuermilch. Er trank Kriegsmilch. Anton van der Meer war die perfekte Tötungsmaschine. Er funktionierte wunderbar. In nur fünf Monaten tötete Anton van der Meer einhundertunddreißig Menschen in Jaipur im Norden Indiens. Er war eine ausgezeichnete, automatisierte Tötungsmaschine. Einhundertunddreißig Menschen tötete er mit einem gezielten Schuss in die Lunge. Wer überlebte, bekam einen zweiten Schuss. Anton van der Meer war effizient und bürokratisch. Einhundertunddreißig Menschen auf einer Liste.

Ayush Singh: ein gezielter Schuss in die Lunge. Der nächste bitte!

Khira Kumar: ein gezielter Schuss in die Lunge. Der nächste bitte!

Himal Bhandari: ein gezielter Schuss in die Lunge.

Und so weiter.

Anton van der Meer war eine gedankenlose Tötungsmaschine, solange er Kriegsmilch bekam. Nach dem Ende des Krieges bekam er keine Kriegsmilch mehr. Dafür bekam er Träume von Indern, die bis auf die Rippen ausgehungert waren und aus dem Mund bluteten.

Der nächste bitte!

Die Träume kamen zuerst nur bei Nacht, dann auch tagsüber. Überall sah Anton van der Meer tote Inder.

»Trink immer genug Milch«, sagte er zu Sascha, als er die vielen indischen Albträume nicht mehr ertrug und erschoss sich mit einer Glock 54. Die Glock 54 war eine halbautomatische Tötungsmaschine, die vollautomatische Tötungsmaschinen wie Anton van der Meer verwendeten. Die halbautomatische Tötungsmaschine stammte aus Österreich. Österreich war das Land, das neben dem Land lag, in dem Sascha im Supermarkt stand. Anton van der Meers Waffe wurde nach seinem Selbstmord nicht gefunden.

Saschas Weg im Supermarkt hatte ihn mittlerweile zum Putzmittel geführt. Im Regal neben der Scheuermilch lag eine Glock 54. Sascha wusste, was zu tun war.

Manisha Bhandaris Sohn war indessen auf der Welt. Wenig später drang ein Bakterium in seinen Körper ein, das kluge Menschen Bordetella pertussis nannten. Das Bakterium sorgte dafür, dass Manisha Bhandaris Sohn Keuchhusten bekam. Er starb ein paar Tage später.

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submitted 4 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Ich hab Goethes Faust mal bisschen auseinandergeschnitten und wieder zusammengesetzt, hier das Ergebnis. Einen schönen Sonntag!

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submitted 5 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Hände hoch, Wochenende. Heute eine ganz kurze trashige Fantasy-Geschichte

[-] fluid_s@feddit.de 4 points 6 months ago

Selber vielen Dank!

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submitted 6 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Heute eine kleine »surreale Fabel« oder sowas. Vielen Dank für's Lesen Ü

Mit dem Öffnen der Türe schloss das Fenster und das Bellen des Nebels verhallte. Ich drehte mich um.

»Und? Wie sehe ich aus?« Ich trug zum ersten Mal das Kleid meiner Großmutter – ein Unikat, handgefertigt aus hundertfünfzehntausend Löffeln. Immerhin sollte das heute ein extravaganter Ball werden.

»Umdrehen«, orderte die Katze und korrigierte zwei der Löffel. »Jetzt können wir los.« Ich folgte der Katze die moosbewachsene Wendeltreppe hinunter, dabei stets den Blick auf ihre Ohren gerichtet, das half gegen den Schwindel.

»Und sonst muss ich nichts weiter tun?«, fragte ich, als wir den Keller erreichten.

»Nur das, was ich dir aufgetragen habe«, sagte die Katze, die einen Löffel vom Kleid entwendet hatte und sich damit am Schlüsselloch der Türe zu schaffen machte.

»Komm jetzt, und mach das Kleid nicht schmutzig!«

Behutsam folgte ich ihr durch den Ausgang hinaus in die Nebelfelder, die uns schlirrend entgegenknurrten.

»Katze, wo bist du?«

»Greif meinen Schweif, ich bringe dich zum See.«

Mit einer Hand den Schweif haltend, mit der anderen das Kleid, folgte ich durch den Nebel, bis dieser sich langsam lichtete und nur noch kindisch kicherte. Das Schloss des Professors spiegelte sich bereits im See und trotz des noch immer vorhandenen Nebels konnte ich die einladenden Lichter in den Fenstern erkennen.

»Steig ins Boot«, sagte die Katze, und ich erschrak, als ich in meiner Hand nicht ihren Schweif, sondern einen dürren Ast hielt.

»Na los«, sagte die Katze oder der Ast, und ich kletterte vorsichtig über die Schädel am Ufer, hinein ins Boot und begann zu rudern.

»Pass auf!«, mahnte der Ast, der auf der Katze neben meinem Boot entlang ritt, aber es war zu spät. Ich hatte bereits zwei der Schädel im See getroffen.

»Quack!«, beschwerte sich einer der beiden.

»Bitte entschuldigt vielmals«, sagte ich, »aber ich sehe fast nichts. Ich hoffe, dass ich euren Schlaf nicht gestört habe.«

Nach einem bisschen mehr als einer kleinen Weile und drei beschädigten Schädelenten später, lag das Schloss direkt vor uns – erhaben auf einer Klippe thronend. Wie ein Wunder verzog sich der Nebel und das Pferd des Professors half mir aus dem Boot.

»Die Katze und der Ast müssen draußen bleiben.«

Ich verabschiedete mich vom mahnenden Blick der Katze und holzigen Ausdrucks des Astes und stieg auf das Pferd. Im Galopp ritten wir entlang der Küste, bis das Pferd mit einem gewaltigen Sprung durch ein Loch, das nur halb so groß war wie wir selbst, in den Felsen sprang. Immer rasanter rasten wir durch den Tunnel, der zu allen Seiten mit grünem Samt bespannt war. Nur vereinzelt beleuchteten Fledermäuse, die Kerzen in ihren Krallen hielten, unseren Weg. Am Ende des Tunnels kamen wir abrupt zum Stehen.

»Bitte steigen Sie ab, für mich ist hier kein Weiterkommen.«

Als ich mich bedanken wollte, war das Pferd bereits durch den Tunnel verschwunden.

»Guten Abend, junge Frau«, piepste mir ein Schnabel aus der Felswand entgegen. »Wenn Sie so gütig sein könnten und ziehen …« Also zog ich, zuerst sachte, dann kräftiger am Schnabel, bis ich den steinernen Vogel aus der Wand gebrochen hatte und hindurchsteigen konnte.

Das Licht der Kronleuchter blendete meine Augen, die Melodien der Nachtigallen meine Ohren und so erkannte ich erst nach kurz darauf, dass ich bereits im Ballsaal stand. Zum Rande des Saales hin, an den üppig gedeckten Tafeln, saßen sie alle: Drosseln, Amseln, Finken und allerlei prächtige Vögel, deren Namen ich noch nicht kannte. Inmitten tanzte innig ein einsames Pärchen, grün am Hals und sonst eher unauffällig.

Ich tat einen Schritt in den Saal hinein. Das Klirren der Löffel an meinem Kleid führte zu großem Geschrei und Geflatter und Getose. Schließlich erstickte eine silberne Stimme alle Geräusche.

»Bitte kommen Sie näher«, rief der Reiher am Kopf der Tafel. Zögernd schritt ich durch das kniehohe Meer aus Federn, welche die Panik den Vögeln entrissen hatte, bis ich vor ihm stand.

»Sehr geehrter Professor«, begann ich, den Kopf demütig gesenkt wie die Fasanen, die zu seiner linken Seite saßen, »ich entschuldige mich aufrichtig für den Schaden, den ich Ihren Enten im Verlauf des Schreibens zugefügt habe.«

»Asche zu Asche, Ente zu Ente«, entgegnete der gelehrte Reiher und schnippte mit dem Schnabel nach seinem Kammerdiener. »Wir haben Sie schon sehnsüchtig erwartet. Nun können wir fortfahren.«

Der Kammerdiener flog hinauf, umkreiste den Kronleuchter zweimal oder dreimal – das Licht war zu hell, um es genau zu erkennen – setzte sich dann nieder und fing an zu brüllen.

»Kräh, Kräh, Krähm brûlée.«

Zu allen Seiten des Raumes öffneten sich goldene Tore und herein kamen Wachteln, immer in Gruppen zu acht, die auf ihren Rücken steinerne Schüsseln trugen.

»Es ist angerichtet«, verkündete der Reiher. Auf eine kurze Stille folgte das Flattern und Wedeln und Schütteln tausender Flügel – ein ohrenbetäubender Lärm. Alle stürzten sich auf mich, rissen und zerrten und zogen bis nur noch ein einziger Löffel an meinem Kleid hing. Ringsum begannen die Vögel, ihre Crème brûlée zu löffeln. Jetzt konnte ich die Aufgabe der Katze vollenden.

Ich richtete mein Kleid – oder was davon übrig geblieben war – und kletterte am Hals des großen Schwanes hinauf, der selbst ganz vertieft war in seiner Crème brûlée. Dabei stets den Blick auf seine Ohren gerichtet – das half gegen den Schwindel – bis ich den Kopf erreicht hatte. Langsam ließ ich mich an seinem Schnabel hinunter und wartete, bis er den nächsten Bissen nahm. Dann sprang ich hinein.

Das Innere des Schnabels war vollständig mit weißem Samt bedeckt. In der Mitte stand ein Bett, in dem Eier aller Größen und Farben schliefen. Wie würde ich die nur öffnen? Ich warf eines der Eier gegen die Wand, aber der Samt federte es sanft zurück auf den Boden. Vorsichtig entfernte ich den letzten Löffel von meinem Kleid und klopfte auf das Ei, das ich gerade gegen die Wand geworfen hatte. Sofort zersprang seine Schale und aus dem Ei stieg die Katze.

»Gut gemacht«, sagte sie, ausnahmsweise höflich und fügte gewohnt unhöflich hinzu:

»Jetzt die anderen.«

Rasch klopfte ich auf all die restlichen Eier – es müssen an die hundert gewesen sein – und aus jedem Ei kam eine andere Katze. Dann ergriff meine Katze das Wort.

»Liebe Schwestern, lasst uns essen.« Und damit verschwanden sie, zum Schnabel des Schwanes hinaus, im Ballsaal.

[-] fluid_s@feddit.de 3 points 6 months ago

Danke! Hab ich aber auch nur bisschen aus dem Dadaismus kopiert (hab aber sonst keine Ahnung von Kunst)

39
submitted 6 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Hab einiges zu tun und deshalb wie immer prokrastiniert und stattdessen Zeug zusammengeklebt, vielleicht erkennt sich ja jemand darin

[-] fluid_s@feddit.de 1 points 7 months ago

Freut uns sehr, das zu hören, vielen Dank für's Lesen :)

[-] fluid_s@feddit.de 2 points 7 months ago

Danke für die Erinnerung, das liegt hier schon ewig rum :)

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submitted 7 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Kurze Hintergrundinfo:

Da Humor in deutschsprachigen Literaturzeitschriften sehr unterrepräsentiert ist, haben meine Freundin und ich Mitte letzten Jahres beschlossen, eine Literaturzeitschrift zu gründen, die dem Humor gewidmet ist.

Also Webseite gebaut, die Ausschreibung verbreitet und bis Ende Oktober haben wir fast 500 Texte bekommen. Jetzt haben wir unsere Entscheidung getroffen und zwölf Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlicht.

Falls ihr also Lust auf sowas habt, dann findet ihr dort hoffentlich was zu lachen, alles online, alles kostenlos.

https://www.derschuhschnabel.de/veroffentlichungen/ausgabe-1/

(Wer eher auf experimentelle, surreale Texte steht, wird vielleicht hier fündig: https://www.rehkitzler.de)

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submitted 7 months ago* (last edited 7 months ago) by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Kurze Hintergrundinfo:

Da Humor in deutschsprachigen Literaturzeitschriften sehr unterrepräsentiert ist, haben meine Freundin und ich Mitte letzten Jahres beschlossen, eine Literaturzeitschrift zu gründen, die dem Humor gewidmet ist.

Also Webseite gebaut, die Ausschreibung verbreitet und bis Ende Oktober haben wir fast 500 Texte bekommen. Jetzt haben wir unsere Entscheidung getroffen und zwölf Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlicht.

Falls ihr also Lust auf sowas habt, dann findet ihr dort hoffentlich was zu lachen, alles online, alles kostenlos.

https://www.derschuhschnabel.de/veroffentlichungen/ausgabe-1/

(Wer eher auf experimentelle, surreale Texte steht, wird vielleicht hier fündig: https://www.rehkitzler.de)

[-] fluid_s@feddit.de 2 points 8 months ago

Danke dir! Liebe Grüße an die schönste Stadt Deutschlands

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Kurzgeschichte: ALT + ENDE (rehkitzler.wordpress.com)
submitted 8 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Heute gibt's eine experimentelle, surreale Kurzgeschichte. Wird nicht jedermanns Sache sein, aber vielleicht finden sich ja ein, zwei Leute, die damit was anfangen können. Frohe Vorweihnachtszeit!

14
submitted 9 months ago by fluid_s@feddit.de to c/fragfeddit@feddit.de

Ich bin gerade noch befristet an der Uni angestellt, Vertrag endet Ende März. Ich schau derzeit schon noch Stellenanzeigen (nicht akademisch) und da sind schon paar Sachen dabei, die in interessant fände. Wenn ich mich da jetzt schon bewerbe, ist das zu früh?

[-] fluid_s@feddit.de 1 points 9 months ago

Hatte nicht mehr so viele Punkte übrig

15
Kurzgeschichte: Intervention (rehkitzler.wordpress.com)
submitted 9 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Heute mal eine sehr kurze, eher experimentelle Geschichte

https://rehkitzler.wordpress.com/2023/11/08/intervention/

[-] fluid_s@feddit.de 20 points 10 months ago

Oblivion. I liked Skyrim but Oblivion quests were so much better

[-] fluid_s@feddit.de 3 points 10 months ago

Wow! That looks fun!

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submitted 10 months ago by fluid_s@feddit.de to c/books@lemmy.ml

My go-to writer in bad times and good times and all the times in between. If you love witty humour, try it. Or start with the TV show with Stephen Fry and Hugh Laurie (although there are so many funny things in those stories that can't be done on screen)

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submitted 10 months ago by fluid_s@feddit.de to c/dach@feddit.de

Die Geschichte hatte ich vor ein paar Jahren mal auf Reddit gepostet, falls sie jemandem bekannt vorkommt. Wünsch euch einen erholsamen Feiertag

Aus dem Leben des Herrn K. und seines Katers Fritz

Es regnete, als Kornelius Karpfenkauer um kurz vor acht Uhr am Morgen seine Wohnung in der Friedensstraße 14 verließ. Herr Karpfenkauer war nicht sehr groß, aber auch nicht klein, trug immer Schnurrbart und meistens Hut, und trotz seines Nachnamens mochte er keinen Fisch. Wer jedoch Fisch mochte, das war Herr Karpfenkauers Kater. Auch dieser trug einen Schnurrbart, jedoch nie Hut, und war ähnlich grau meliert wie Herr Karpfenkauer, der im weiteren Verlauf der Erzählung nur noch Herr K. genannt wird, da dies für mich als Schreiber und vielleicht auch für dich, werter Leser, etwas weniger kompliziert ist.

Woher er den Kater hatte, das wusste Herr K. nicht mehr so genau, da er schon ziemlich alt war und da lässt ja, wie allgemein bekannt ist, das Gedächtnis nach. Der Name des Katers war Sir Patrick Freiherr von Eichenwalde, was auf eine adlige Herkunft schließen ließ, oder abgekürzt SPFVE. Da jedoch der erste Name viel zu lang war und der Zweite nicht leicht auszusprechen, nannte Herr K. seinen Kater einfach Fritz. Er hielt das für einen passenden Namen für einen Kater und diesem war es sowieso egal, da Katzen entweder den Menschen nicht verstehen können, oder – und falls du, lieber Leser, eine Katze hast, dann weißt du das – nicht verstehen wollen.

Aber auch Herr K. hatte Verständnisprobleme. Nicht, weil er eine Katze war, das war er ja nicht, sondern weil mit dem Alter neben dem Gedächtnis auch die Hörfähigkeit abnimmt. Und so konnte es schon mal vorkommen, dass das für Schwierigkeiten sorgte, allerdings nicht so sehr für Herrn K., sondern für Leute, die ihn um Rat baten. Wie einmal, als ein verirrter Hungriger ihn gefragt hatte, wo denn das Restaurant „Kabeljau-Schatz“ sei und pflichtbewusst und hilfreich wie Herr K. war, erklärte er ihm natürlich ausführlich, wie man zum Adenau-Platz käme und wenn der arme Fragende bis heute nicht verhungert ist, dann sucht er wahrscheinlich noch immer nach dem Restaurant, irgendwo in der Nähe des Adenau-Platzes.

Manchmal war das aber auch ganz hilfreich, das schlechte Hören. So wie an diesem Morgen, um kurz nach acht Uhr auf dem Weg zwischen Herrn K.s Wohnung und dem Café Rouge, wo sich der Lärm der Straßenbahn abwechselnd mit dem Brausen der Autos durch große Pfützen und dem Prasseln der Tropfen auf den Schirm vermischte, was für Herrn K. in einem meditativen Rauschen resultierte.

Das Café Rouge lag unweit der Wohnung von Herrn K., am anderen Ende der Friedensstraße und war vieles, aber nicht rot. Die Einrichtung war ein buntes Potpourri aus grünen Holztischen, blauen Plastikstühlen, gelben Tassen und allerlei Allerlei, das besser in ein Geschäft für Dekorationsartikel gepasst hätte. Vor allem aber war das Café Rouge dafür bekannt, dass dort der schlechteste Kaffee der Stadt serviert wurde. Aber da Herr K. sowieso keinen Kaffee mochte, war ihm das auch nicht so wichtig. Viel wichtiger war, dass er jeden Tag hierherkam, um kurz nach acht am Morgen, außer mittwochs, weil da war Ruhetag.

Herr K. hatte vor über vierzig Jahren damit begonnen, jeden Morgen ins Café Rouge zu gehen. Wobei das Café Rouge erst seit wenigen Jahren hier war. Damals, ganz am Anfang, war es noch die Kaffeerösterei Müller & Müller und auch da schmeckte der Kaffee schon ganz außerordentlich schlimm. Zu jener Zeit war er auch jeden Morgen dort, außer montags, weil damals Montag Ruhetag war.

Nachdem dann der erste Müller der Kaffeerösterei Müller & Müller gestorben war, starb auch bald der zweite Müller und es folgte kein Café, sondern ein kleines Nähgeschäft. Aber auch dort konnte man Herrn K. jeden Morgen um kurz nach acht Uhr finden, der dann dort wartete, zu Beginn oft mehrere Stunden, später dann nur noch circa dreißig Minuten, und dann eine Stricknadel oder Wolle kaufte, da er es als unhöflich empfand, einfach so wieder zu gehen. Dem Nähgeschäft folgte für kurze Zeit ein Reisebüro, aber Herr K. konnte es sich nicht leisten, jeden Tag einen Urlaub zu buchen. Dennoch stand er dort, jeden Morgen um kurz nach acht Uhr und schaute sich die Urlaubsreklamen im Schaufenster an und träumte bisweilen tatsächlich davon, auch einmal zu reisen.

Und dann folgte das Café Rouge und Herr K. war froh, endlich wieder dort sitzen zu können und zu warten. Jeden Tag seit er sie damals gesehen hatte, jeden Tag in der Hoffnung, sie dort wiederzusehen. Außer einmal, an einem Tag, das muss im Sommer oder im Herbst gewesen sein vor ein paar Jahren. Da war Kater Fritz krank, weil er im Schlaf von einer Maus gebissen wurde. Und so blieb Herr K. zuhause und kümmerte sich um den Kater, der zwar nicht verletzt war, aber wusste, dass Herr K. ihm Thunfisch geben würde, wenn er so tat.

Was aber ganz sicher im Sommer war, das war Herr K.s Begegnung mit der Unbekannten in der Kaffeerösterei Müller & Müller. Da war er noch jung und konnte gut hören und sich an alles erinnern. Und vor allem erinnerte er sich an diesen Tag. Es war der fünfte Juli und Herr K. schlenderte durch die Stadt, auf der Suche nach einem Café, in dem es so wenig Kaffee wie möglich gab, sondern lieber etwas anderes, womit man sich an einem Sommermorgen erfrischen konnte. Und da er wusste, dass es in einer Kaffeerösterei außer Kaffee nichts gab, eilte er meist schnell an der Kaffeerösterei Müller & Müller vorbei. Außer an diesem Tag, weil da eine Katze auf der Fensterbank saß und Herr K. schon aus Prinzip anhielt um Katzen zu grüßen und, falls erlaubt, zu streicheln. Und so beugte er sich hinab und kraulte das Tier am Hals, das jedoch schnell die Lust an Kraulereien verlor und weitersprang. Also erhob sich Herr K. wieder und erblickte im Fenster zuerst sein Spiegelbild, das ihm so gar nicht gefiel und gleich danach eine Kaffeetrinkerin, die ihm sehr gefiel.

Sie saß da, um kurz nach acht Uhr, an Tisch 3 der Kaffeerösterei Müller & Müller, genau da, wo später eine große Kiste mit roter und gelber Wolle stand, bzw. der Wasserspender des Reisebüros und heute Tisch 2 des Café Rouge. Und Herr K. fand, dass sie eine ganz merkwürdig bezaubernde Art hatte, ihren Kaffee zu trinken und noch entzückender fand er ihr rotes Haar, das so gar nicht ins Café Rouge gepasst hätte. Also stand er da und schaute und irgendwann schaute sie zurück und lächelte ihn an und Herr K. wurde erst ganz unbeweglich und dann plötzlich so beweglich, dass er losrannte, weil er viel zu schüchtern war, um einfach hineinzugehen und zu sagen: „Guten Morgen, mein Name ist Kornelius Karpfenkauer und ich mag keinen Kaffee, aber ich mag Sie und die Art und Weise, wie Sie Ihre Tasse halten und deshalb würde ich gerne einen Kaffee mit Ihnen trinken.“ Aber Herr K. flüchtete und ärgerte sich sehr über sich selbst.

Als er an jenem Abend nachhause kam, da schaffte er es nicht, sie zu vergessen und beschloss, am nächsten Tag wieder zur Kaffeerösterei Müller & Müller zu gehen und zwar vorbereitet. Und so wachte er am nächsten Morgen auf, zog seinen besten, viel zu großen Anzug an und machte sich um kurz nach acht Uhr auf den Weg. Unterwegs hielt er bei einem Blumenladen, wusste aber nicht, welche Blumen der Unbekannten gefallen würden. Daher kaufte er einfach von jeder eine, damit die Unbekannte dann selbst wählen konnte, ob sie lieber Rosen oder Chrysanthemen hätte.

In der Kaffeerösterei M. & M. stand er dann da, und sah aus, als wäre er gerade auf seiner eigenen Konfirmation. Er setzte sich an Tisch 5, von wo aus er direkten Blick auf Tisch 3 hatte, an dem am vergangenen Tag die Unbekannte saß, und bestellte einen Kaffee. Und er wartete und trank Kaffee, obwohl er keinen Kaffee mochte und wartete und bestellte einen neuen Kaffee, obwohl er noch immer keinen Kaffee mochte und wartete und irgendwann kam die Frau Müller von der Kaffeerösterei M. & M., um ihm zu sagen, dass man jetzt schließe und Herr K. bezahlte und ging nachhause.

Aber er wollte nicht aufgeben und konnte sie nicht vergessen, also wiederholte er den Vorgang bis zum Tag, an dem diese Geschichte spielte. Irgendwann hatte er aufgehört Blumen zu kaufen, weil die Frau vom Blumenladen weggezogen war und auch der Anzug wurde ihm irgendwann zu groß, bzw. er wurde dem Anzug zu klein. Ebenso verkürzte sich die Dauer der Besuche, da man, wenn man einen ganzen Tag nichts tut als warten, nicht viel vom Leben hat. Aber sonst war alles wie immer: Herr K. ins Café um kurz nach acht, warten auf die Unbekannte und dann wieder nachhause. Herr K. wusste, dass sie, falls sie überhaupt noch lebte, sich bestimmt nicht mehr an ihn erinnern konnte, aber er hatte so viele Jahre durchgehalten und da konnte er jetzt erst recht nicht mehr zurückrudern. Um fünfunddreißig Minuten nach acht bezahlte Herr K., machte sich auf den Heimweg und besorgte noch eine Dose Thunfisch für Kater Fritz.

Es hatte aufgehört zu regnen, als Herr K. die Haustür öffnete und mit seinem Schirm die blau-weißen Fließen im Hauseingang volltropfte. Zurück in der Wohnung wartete Fritz schon, der genau wusste, dass Herr K. ihn jeden Tag nach seinem kurzen Ausflug mit Thunfisch versorgte. Herr K. öffnete den Schrank, in dem sich vor allem eine Menge Stricknadeln und Wolle und halb-gestrickte Socken stapelten, kramte dort irgendwo den Dosenöffner hervor und fütterte den Kater. Fritz war bald zufrieden, Herr K. eher weniger, aber morgen, da würde er ins Café Rouge gehen und mit etwas Glück war dann auch die Unbekannte da, wegen der er sich so viel Lebenszeit geraubt hatte.

Was Herr K. nicht wusste, war, dass die Unbekannte noch lebte, allerdings weit weg von ihm und sie mochte Kornblumen am liebsten und würde nie wieder zurückkommen ins Café Rouge. Aber es ist besser, wenn wir ihm das nicht verraten.

[-] fluid_s@feddit.de 5 points 11 months ago

Danke, hab's oben auch mal hinzugefügt

[-] fluid_s@feddit.de 4 points 1 year ago

Vielen Dank! Bald vielleicht mal wieder

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fluid_s

joined 1 year ago